Fotografien von Isabella Krobisch
Helmut Ammann (1907-2001) stellte 1962 in den bunten Chorfenstern die Gestalt Christi ins das Zentrum unserer Evangelisch-Lutherischen Christuskirche in München-Neuhausen. Zahlreiche biblische Geschichten und Symbole – von der Schöpfung bis zur Herrschaft des Auferstandenen über alle Welt – sind in den Fenstern dargestellt. 2015 konnte die STIFTUNG CHRISTUSKIRCHE mit der Miesbacher Fotografin Isabella Krobisch ein faszinierendes Projekt realisieren. Ein eigens aufgestelltes Gerüst erlaubte es der Fotografin, die Fenster aus nächster Nähe in ihrem Detail-Reichtum zu erfassen. In ihren Bildern lenkt sie unsere Blicke neu auf das Farben- und Formenspiel der Ammannschen Fenster.
Am 30. Oktober 2015 konnten wir die Ausstellung mit großformatig gedruckten Fotografien in der Christuskirche eröffnen. Wir dokumentieren hier die Beiträge dieses Abends.
Sie können die Print-Ausgabe im Pfarramt zum Preis von 10 Euro erwerben.
Begleitet wurde die Ausstellung von einer Predigtreihe zu den Glafenstern. Die Predigten finden Sie unserem Predigt-Archiv.
Hier können sie die Beiträge des Abends nachlesen.
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von Gotthard von Czettritz
Einblicke in das Schaffen von Helmut Ammann
von Erich Kasberger
Gedanken der Fotografin
von Isabella Krobisch
Einleitende Worte
Dr. Gotthard von Czettritz ist Vorsitzender des Vorstandes der STIFTUNG CHRISTUSKIRCHE.
Sehr geehrte Damen und Herren,
als die Stiftung Christuskirche am Reformationstag 2007 gegründet wurde, konnten wir nicht wissen, welche erfreuliche Entwicklung kommen wird.
In der Stiftungssatzung heißt es: „Die Errichtung der Stiftung entspringt der Verantwortung die Christuskirche als besonderen Ort des Glaubens und des gemeindlichen Lebens auch in Zukunft und für kommende Generationen zu erhalten und würdig zu gestalten.“ Im Stiftungsvorstand wurde uns in den letzten acht Jahren immer deutlicher, welchen Reichtum dieser „besondere Ort“, der Christuskirche darstellt. Wer sich länger in ihm bewegt, wer in ihm heimisch wird, der spürt die Lebens- und Glaubensgeschichten der vielen Menschen, die er in über 100 Jahren beherbergt hat. Der findet in ihm einen Ort auch für das eigene Glauben und Zweifeln, für Traurigkeit und Freude.
Aufgabe unserer Stiftung ist der Aufbau und die Mehrung eines Vermögens, das den Erhalt unserer Gebäude, insbesondere der Kirche, und das bewusste Gestalten des Gemeindelebens ermöglicht. Zugleich haben wir uns das Ziel gesetzt, Gemeindegliedern und Freunden der Christuskirche den besonderen Wert und die Schönheit dieses besonderen Lebens- und Glaubensortes am Dom-Pedro-Platz in Neuhausen zu erschließen.
Beim Stiftungsfest im Oktober 2014 berichteten Gemeindemitglieder aller Generationen in persönlichen Erzählungen von prägenden Lebenserfahrungen, die sie mit der Christuskirche verbinden. „Meine Christuskirche“ war das Motto.
Mit dem Stiftungsfest am 30. Oktober 2015 widmen wir uns den Glasfenstern, mit denen der Künstler Helmut Ammann in der kriegszerstörten Kirche 1962 einen neuen geistlichen Mittelpunkt geschaffen hat. Fast alle Besucher der Kirche lieben die vor allem im Morgenlicht farbig erstrahlende Bilderpracht, das fast überirdisch leuchtende Antlitz des Christus im Mittelpunkt der Komposition. Die Fotografin Isabella Krobisch eröffnet uns mit ihren Bildern nun neue Blicke auf die auf eine Vielfalt von Details. Ihre Bilder erfassen spannungsvolle Szenen, greifen einzelne Personen heraus, machen das faszinierende Spiel mit der Leuchtkraft der Farben deutlich. Noch nie konnte man den Glasfenstern der Christuskirche so nahe kommen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – wie in diesen Bildern, die Isabella Krobisch von einem Gerüst aus in unmittelbarem Gegenüber fotografieren konnte.
Ich freue mich, dass wir diese „Neuen Blicke auf die Glasfenster der Christuskirche“ nicht nur bei der Ausstellung zum Stiftungsfest 2015 eröffnen können, sondern auch mit dem vorliegenden Katalog zur Ausstellung. Mein Dank gilt allen, die an der Realisierung des Projektes beteiligt waren: Voran Isabella Krobisch, die uns mit Ihrer künstlerischen Idee begeistert und auch im Umfeld so viel zum Gelingen des Vorhabens beigetragen hat. Dank sage ich den Autoren des Kataloges für ihre Beiträge und – nicht zuletzt – den Sponsoren, dem Bankhaus Metzler, Herrn Prof. Dr. Jochen Buck vom IfoSA-Institut und der Firma myposter GmbH, die uns finanziell bzw. durch den kostenlosen Druck der Ausstellungbilder unterstützt haben.
Unser Wunsch ist, dass wir viele anstecken können mit der Liebe zum Glaubens- und Lebensort Christuskirche. Unsere Bitte ist, dass Sie uns weiter oder auch neu unterstützen, diesen besonderen Ort „auch in Zukunft und für kommende Generationen zu erhalten und würdig zu gestalten.“
Dr. Gotthard von Czettritz
Einblicke in das Schaffen von Helmut Ammann
Erich Kasberger ist familiär mit Helmut Ammann verbunden und führt die GALERIE AMMANN in Pöcking am Starnberger See.
Sehr geehrter Herr Pfarrer Haberl, liebe Fotografin Isabella Krobisch, verehrte Gäste dieser Ausstellung – meine Damen und Herren,
ich möchte mit einem Geständnis beginnen: Als fast verlorener Sohn der katholischen Kirche mit Spätheimkehrertendenz werde ich wieder öfter in die Kirche gehen – und zwar in diese Kirche. Drei Gründe dafür: Erstens wird hier vorzügliche Musik gespielt. Zweitens: Ich möchte auch einmal einen wirklich humorvoll-kabarettistischen Pfarrer erleben. Und drittens: Hier gibt es außergewöhnliche Kirchenfenster von Helmut Ammann. Dass sie außergewöhnlich sind, dafür trete ich sofort den Wahrheitsbeweis an, denn alle Kirchenfenster Ammanns sind auf ihre Weise außergewöhnlich. Werfen Sie auch einmal einen Blick in die Lutherkirche München-Giesing mit der sich über drei Chorfenster dehnenden Glasfensterarchitektur. Sie werden staunen.
Übrigens, würde Helmut Ammann noch leben, würde er, der ein sehr gläubiger Mensch war, aber nur von Berufs wegen viel Zeit in Kirchen verbrachte, sicher auch gerne hierher mitkommen, denn klassische Musik war ihm ein Lebensquell. Außerdem war er, da in Berlin groß geworden, selbst sehr humorvoll und schätzte diese Gabe bei anderen, gerade und insbesondere, da nicht so häufig, bei Pfarrern und drittens: Diese seine Kirchenfenster in der Christuskirche lagen ihm sehr am Herzen.
Ich habe Helmut Ammann noch 15 Jahre erleben dürfen und ihn bis zum Tod im Jahre 2001 als Freund begleitet. Kraft meines Amtes, ich bin als Schwiegersohn in spe ins Haus gekommen, verlieh er mir bald den Titel „Graf Bio“, denn ich hatte ihm als eine Art Mitgift versprochen, zu seinem 90. Geburtstag als sein Bio-graf ein Künstlerbuch zu machen. Daraus wurde für beide Seiten ein Lebenswerk, für ihn eine große Werkschau und für mich fast ein Nebenberuf, bin ich doch bis heute mit der Veröffentlichung seiner über 70 Jahre geführten Tagebücher beschäftigt, arbeite an der Erfassung seines ungewöhnlich vielseitigen und umfänglichen Werkes – aber ich bin mit meiner Ehefrau, der Tochter aus dem Hause Krauss-Ammann, reich belohnt.
Helmut Ammann ist 1907 in Shanghai geboren, sein Vater, ein Schweizer Staatsbürger, hatte als Pathologe die dortige Medizinschule mit aufgebaut – die Tongij-Universität zählt heute zu den führenden Bildungseinrichtungen des Landes. Drei Jahre lebte die Familie in Shanghai, dann kehrte sie nach Berlin zurück, für Helmut Ammann eine Zeit, die ihn zeitlebens prägte und beschäftigte in seinen Werken und in seiner Lebensphilosophie. Seit 1937 arbeitete Helmut Ammann in München als Bildhauer, Maler, Grafiker, Glaskünstler – aber er lebte auch in vielen anderen Künsten, die sich in ihm verwoben, ergänzten, zu einer mehrstimmigen „Partitur“ verbanden. So hält er 1970 in seinen Aufzeichnungen fest: „Meine Natur ist polyphon angelegt, so darf ich in meiner Partitur keine Stimme vernachlässigen“.
Das galt, wie erwähnt, „für die Musik, die ihn lebenslang inspirierte, die bildhauerisch und zeichnerisch in der musikalischen Leichtigkeit von Linien, Formen und Profilen ihren Niederschlag fand. Und es galt für das Wort in allen seinen Ausformungen: als gelesene Literatur, als Theaterstück, als Vortrag, als geschriebene Erzählung, als Tagebucheintrag. Dem Vielbelesenen stand dafür eine poetische und ausdrucksstarke Sprache zur Verfügung. Helmut Ammann näherte sich vielfach auch schreibend bildnerischen Ideen, er nahm seine Aufzeichnungen immer wieder vor und nutzte seine Gedanken und Ideen als Anregung für neue Werke“, so meine Frau Marita Krauss in der Einleitung des eben im Druck befindlichen dritten Bandes der Tagebücher: Zyklen, Fragmente, Gedichte.
Besonders anregend bei der Beschäftigung mit Ammanns Werken und Aufzeichnungen war die Frage, wie eigentlich ein Kunstwerk entsteht, die Frage also nach dem künstlerischen Prozeß. Auskunft darüber geben seine Tagebücher, die gegenwärtig 3000 Seiten umfassen, aber auch Skizzen, Entwürfe und Tonbandaufzeichnungen, die ich mit ihm führte. Ich möchte Ihnen also von Innensichten erzählen, von der schöpferischer Inspiration, von den Stufen künstlerischer Umsetzung, den Mühen der Ebenen, wie Brecht es einmal formulierte, kurzum ich gebe Ihnen einen Werkstattbericht mit besonderem Blick auf die Glasfensterarbeit.
Am Anfang einer kirchlichen Arbeit steht – selbstredend – ein Auftrag. Der erste Hinweis auf diese Fenster hier in der Christuskirche findet sich am 9.II.1957: Seine Frau Carmen hatte ihm per Eilbrief [nach Würzburg] eine Anfrage vom Evang.[elischen] Kirchbauamt für 3 Chorfenster der Christuskirche bei Pf.[arrer Wilhelm] Steinlein geschickt. Die Empfehlung kam von Wilhelm [Schwinn]. Schwinn war Dekan und auftraggebender Baumeister in Würzburg, der sehr viel für den Wiederaufbau der Kirchen in dieser vom Krieg so schwer gezeichneten Stadt geleistet hatte. Es musste also auch für die Christuskirche im Voraus eine Entscheidung getroffen werden, obwohl Ammann gerade in andere, höchst umfängliche Arbeiten eingebunden war: So entstanden gleichzeitig die Modelle für große Schnitzarbeiten in Hamburg-Hamm und für die Johanniskirche in Würzburg, der große Eichenkruzifixus für Schwandorf war gerade in Arbeit, das Emporenfenster für St. Ulrich in Augsburg rechtzeitig fertig geworden und weitere Fensterentwürfe für Würzburg, Burghausen und die großen Chorfenster in Lambrecht in der Pfalz in Vorbereitung.
Nun, sichtbar wird, dass Ammann ein gefragter evangelischer Kirchenkünstler war auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Überraschenderweise schreibt er 1957 in den Tagebüchern, die er nachts führte um der inneren Ordnung und Kontemplation Willen: „Die eigentümliche Unberührtheit und Ruhe allen Problemen gegenüber im Persönlichen und in den Fragen der Arbeit und der Aufträge hält an.“ Diese Art der Gelassenheit, des an fernöstlicher Philosophie geschulten Insichruhens, war ein Zustand, den er oft nur annähern konnte durch höchst disziplinierte Arbeit und Konzentration auf das Wesentliche. Denn das Gefühl ständiger körperlicher Überforderung war der Normalfall. 1962 schreibt er während der Arbeit an den Fenstern der Christuskirche: „Meine Erschöpfung ist längst zu weit getrieben. Trotzdem gelingt es mir noch, meiner Pflicht nachzukommen und täglich Glas zu setzen. Ich glaube auch nicht, dass man zum Schluss dem Fenster irgend eine Müdigkeit des Künstlers anmerken wird.“
Ich habe Ihnen einen kurzen Eindruck gegeben von den Anforderungen und Überforderungen, die natürlich auch aus den Erwartungen der Auftraggeber resultierten. Wie konnte er in solchen Spannungsfeldern schöpferisch tätig werden?
Helmut Ammann hatte einige besondere Gaben, die ihm im schöpferischen Prozess zu Gebote standen. So verfügte er über nie versiegende Quellen der Phantasie, die von Kindesbeinen an durch Theaterspiel, Musik, zeichnerische Arbeiten genährt wurden. Diese Quelle musste aber ständig neu belebt werden durch „Studien, Etüden, Stenogramme“, wie er sagte, und durch wache, hoch sensible Antennen im Alltag. Phantasie war aber nicht Selbstzweck, sondern ein Schlüssel zum Ganzen.
Er sagte: „Die Phantasie muss sachlich werden. Sie verhält sich zu einem Vorgegebenen wie Variationen zu einem Thema.“ Die Strenge der Arbeit galt dem Thema.
Viele Ideen sind bei Ammann übrigens aus Träumen geboren, die er sofort notierte oder auf einem Blatt als Zeichnung festhielt. Doch in der ironischen Sentenz „Den Seinen gibts der Herr im Schlaf“ sieht man immer nur ein gottgegebenes Geschenk. So einfach ist es nicht. Phantasie stellt sich ein, wenn man Vertrauen hat, vor allem zu sich selbst. Zwingen kann man Phantasie nicht, sie liegt im Unzugreifbaren. Ammanns wusste um diese Quelle, aus der es nicht nur des nachts, sondern auch untertags schöpfen konnte. Diese flüchtigen Phantasiegebilde hielt er dann in kleinen Skizzen fest, so dass sein Zeichenstift nie zur Ruhe kam. In Tagebuchnotizen erhielten Phantasie und Ideen sprachliche Form und Gehalt. In diesen Aufzeichnungen, auch in Erzählungen, in „Wahrnehmungen und Randglossen“, wie er es nannte, hielt er eine weitere Quelle am Sprudeln: Sein großes erzählerisches Talent, das man auch in der Bildabfolge seiner Fenster ablesen kann. In der Publikation zur heutigen Ausstellung habe ich diese Form der „Episierung“ der Glasfenster-Bildsprache kurz skizziert.
Wenn sich die Phantasie zur Konzeption verdichtet hatte, schätzte Ammann den Dialog. Zu den ersten Gesprächspartnern gehörte seine Frau Carmen, ihr kritisches Urteil schätzte er, aber auch das seiner engen Freunde. Im Falle der Christuskirche suchte er bald eine größere Öffentlichkeit. Im Februar 1958 findet sich in den Aufzeichnungen: „Abends zu Haus kurze Vorbereitung für den Glasvortrag. Im Gemeindesaal der Christuskirche sprach ich über die Glasfensterkunst mit Lichtbildern, um für die geplante Arbeit eines großen Fensters dort Anregungen zu geben.“ Wenn es dann in Verhandlungsrunden mit den Pfarrern ging, legte er kleine Farbskizzen vor, aus denen die Themen und allererste Farbeindrücke hervorgingen. Das war der Moment, wo der Künstler Ammann über jeden mit Humor, Leichtigkeit und geistiger Beweglichkeit ausgestatteten evangelischen Pfarrer froh war, – wo es sich bewährte, dass Ammanns Bibelkenntnisse denen der Geistlichkeit in nichts nachstand und letztlich ein Pfarrer damit zurecht kommen musste, sich einen Ammann ins Haus geholt zu haben.
Die eigentliche Arbeit, die Mühen der Ebenen, begannen mit der Umsetzung der Entwürfe auf die großen Glasfensterkartons in der Originalgröße der späteren Fenster. Helmut Ammann hat 1957 am Beispiel der großen Kartons für die Kirche in Lambrecht diesen Teil des Entstehungsprozesses, der Kompositionsideen formuliert. Sie treffen auch auf die Christuskirche zu:
1. Zeichnung zunächst überall in großen durchschwingenden Zusammenhängen mit Betonungen, Überschneidungen, Verknotungen und Auflösungen im Sinne großer Bleiführungen [Anm.: Die Gläser werden von Bleiruten zusammengehalten], wie das Lineament von starken Blitzen in der Nacht oder wie das Wintergezweige vor hellen Gründen —- oder wie choreographische Strukturen für einen vielfältigen Tanz auf bestimmt begrenztem Raum.
2. Ganz frei darüber Verteilung weniger großer Grundfarbwerte, so wie Morgen-, Mittag- oder Abendfarben Baumkronen durchfluten, über Ströme oder Hintergründe, ohne die durch das Lineament entstandenen, vom Strich eingefaßten Felder auszufüllen.
3. Einsetzen dunkler Betonungen, wie wenn einer Steine verschiedener Größe ins Wasser wirft, die dann Kreise bilden. Das immer sanftere Ausschwingen dieser Kreise in entsprechenden Farbwerten spüren lassen.
Deutlich wird hier die Bildlichkeit der Formulierungen, der Einfluss der Natur und nicht zuletzt die Versachlichung der Phantasie.
Erlauben sie mir bitte an dieser Stelle eine Nebenbemerkung: Ich habe in unserer Galerie gestern Abend eine Glasfensterausstellung über Helmut Ammann fertig gebaut. Eines der letzten großformatigen Bilder war der Kampf mit dem Drachen hier aus der Christuskirche, über zweieinhalb Meter groß. Es ist ein überwältigendes, von Farben, Kraft und Dynamik sprühendes Bild, in dem alle diese eben genannten Kompositionsideen ablesbar sind. Es zeigt, dass Ammann auch ein vorzüglicher Maler war, der 1927 – als Zwanzigjähriger – in Frankreich seinen großen Aufbruch als Maler, erlebte. An seinen Vater hatte er geschrieben: „Der Himmel ist mit 1000 Offenbarungen in mich gefallen und ich in ihn.“ Damals hatte er intuitiv erlebt, was er später sehr bewusst einsetzte. Den Umgang mit der Farbe und das Wissen um deren Wirkung. Hier im Mittelfenster der Christuskirche dominiert die Farbe Rot: Sie ist das Zeichen der „Majestas domini“, wie wie wir es aus der Zeit des klerikalen Mittelalters kennen. Johann Wolfgang Goethe, den Ammann überaus schätzte, ordnete in seiner Farbenlehre den einzelnen Farben Emotionen zu. Für uns heute in der Wahrnehmungsphysologie eine Selbstverständlichkeit, denken Sie an die Farbe von Warnschildern oder die Tatsache, dass die Farbe Blau beruhigend wirkt, Rot hingegen den Blutdruck steigen und das Herz schneller schlagen lässt, also aktiviert. In seinen Erklärungen zu den Fenstern in Bad Wörishofen schreibt Ammann: „In den je fünf quadratischen Fenstern rechts und links vom Altar kommen die Erlösungstaten zum Ausdruck. Es liegt hier das Erlebnis zu Grunde, dass überall, wo Christus in unser Leben eingreift, unser Herz in Brand gerät. Das Rot ist das farbige Kennzeichen dafür. Wie ein Warnsignal gibt es Kunde, dass etwas Besonderes geschieht, wo es auftaucht. So z.B. erscheint es im Segel über dem schlafenden Haupt Christi auf dem Bilde vom Schiff im Sturm oder im flatternden Tuch in den Händen des Besessenen… In diesem Sinne zieht sich das Rot als Leitmotiv durch alle Fenster und erschließt sich dem aufmerksamen Betrachter in seiner den Bildern entsprechenden Sinndeutung, ohne eine Erklärung notwendig zu machen.“ Die Farben Rot und Blau gehören auch zu den unausgesprochenen Botschaften, die von den Fenstern hier in der Christuskirche ausgehen, zu ihrer kontemplativen wie aktivierenden Bildersprache.
Wir können nun im Werkstattbericht den Schritt in die Praxis des Glassetzens tun. Auf den großen, maßstäblich gemalten Kartons, ein Fachbegriff für sehr starkes Papier, das auch zum Probehängen über die Länge eines großen Fensters stabil bleibt, finden sich alle Lineamente wieder, alle von der Architekur vorgegebenen Verstrebungen sind eingetragen; auch die Farbtöne sind annähernd gesetzt. Alle Linien werden nun in der Glaswerkstatt nachgezogen, gleichsam durchgepaust, um Formschablonen für die Glasscheiben zu gewinnen. Jetzt erst beginnt die eigentliche Kompositionsarbeit, das Spiel mit Gläsern und Farben. Viele heutige Künstler geben in den Werkstätten nur eine Farbskizze ab, den Rest machen die Glassetzer. Helmut Ammann suchte jede Glasscheibe selbst aus und begleitete jeden Arbeitsschritt bis zum Schluss. Seine Werkstätten waren zumeist die Mayerschen Hofkunstanstalt oder van Treeck in München, die es beide noch gibt. Es gibt keinen direkten Hinweis, aber die Fenster der Christuskirche sind wohl in den nicht mehr existierenden Werkstätten von Bockhorni entstanden.
1961 schreibt Ammann in den Tagebüchern: „Das Programm dieses Tages hat wie eine Elypse 2 Brennpunkte. Durch Carmens vormittäglich und abendliche Betrachtung meines Fensters für die Christuskirche, meine heutige Arbeit daran und unser später zu Hause darüber geführtes Gespräch merkte ich, dass ich um einige Schritte weiter gekommen bin in der Richtung der freien Verwendung der Mittel im Sinne der ausdrückenden Idee.“ Die freie Verwendung der Mittel im Sinne der ausdrückenden Idee. Was abstrakt klingt, hat eine sehr praktische Seite: Im März 1962 heißt es während der Arbeiten am linken Fenster der Christuskirche: „Heute zeichnete ich mit Schwarzlot auf den Himmel der Tag- und Nachtgläser. Die Gesichter der Engel, die den Teppich des Himmels ausbreiten, die strahlenartig geöffnete Hand des Schöpfers, das Antlitz des Flammenschwertengels und die Gesichter von Adam und Eva gelangen auf Anhieb und in der richtigen Art der Übersetzung. Aber wie wird sich der Farb- und Formenreichtum im Fensterbogen mit den unteren Scheiben des Seesturmes vertragen?“
Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich konnte Ihnen Helmut Ammann näher bringen, als Person, seine Arbeitsweise, seine Glasfensterarbeiten: Jede Glasscheibe ist von Künstlerhand mit Bedacht gewählt, jedes Detail ist Teil eines großen Ganzen, das zu betrachten lohnt. Alles folgt dem Fluss einer großen biblischen Erzählung, einem Narrativ, das den geheimen Erfahrungen und Gesetzen der Glasfensterkunst verpflichtet ist, die Helmut Ammann für sich gefunden hat. Dass wir heute viele Details studieren können, ist der Initiative der Fotografin Isabella Krobisch zu danken, die mit einem sehr wachen Kamerablick den Bildern und Erzählungen folgt, und vieles ganz anders und unerwartet ins Licht hebt. Selbst Helmut Ammann würde manches neu entdecken. Ihr gilt mein Dank ebenso wie Pfarrer Haberl, den Förderern und Gönnern, die sich für Ausstellung und Broschüre so nachhaltig eingesetzt haben. Und die – keineswegs selbstverständlich – wissen, dass sie in ihrer Kirche wertvolle Glasfensterkunst besitzen. Ihnen, verehrte Anwesende, danke ich für Aufmerksamkeit und Geduld und schließe mit einem Tagebucheintrag von 1939, der auf wunderbare Weise, ausgehend von der Natur, auch für diese Fenster seine Wahrheit hat: „d. 30. Januar 1939 Am Fensterbogen Vögel und Blätter […] dann über meine Fenster [nachgedacht] als Testament einer Kinderseele…“
Erich Kasberger
Gedanken der Fotografin
Isabella Krobisch lebt in Miesbach. Sie hat sich als Fotografin schon länger mit dem Werk von Helmut Ammann auseinandergesetzt und in Wörishofen eine Ausstellung mit Fotografilen von Ammann Glasfenstern realisiert. Im Frühjahr 2015 kam der Kontakt mit der Christuskirche zustande.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wie ist das Glasfenster-Projekt entstanden? Helmut Ammann war mir zwar durch seine Skulpturen, Grafiken und Werktagebücher ein Begriff, aber erst in der Erlöserkirche Bad Wörishofen begegnete ich im Februar 2013 zum ersten Mal seiner Glaskunst. Ergriffen von seiner Deutung biblischen Geschehens begann ich die in Augenhöhe befindlichen Fenster sofort zu fotografieren. Das Wechselspiel von Licht und Schatten und die Lichtbrechungen inspirierten mich innerhalb der letzten Jahre zu etwa 1600 Detailaufnahmen. Ich muss dazu sagen, dass sich bis auf eine Darstellung alle Fenster in Augenhöhe befinden, also jederzeit zugänglich sind. Aus diesem Bildmaterial wurde eine Broschüre gedruckt und eine Wander-Ausstellung konzipiert, die zurzeit im Kloster der Barmherzigen Brüder in Kostenz zu sehen ist.
Meine nächste Begegnung fand in der Lutherkirche München-Giesing statt. Zur Vorbereitung seines Bildbandes über die Glaskunst von Helmut Ammann ermöglichte mir Herr Kasberger eine Hubbühne, die mich auf Augenhöhe mit den Fenstern des Himmlischen Jerusalems brachte. Wiederum ein „erhebendes“ Erlebnis!
Im Ammann’schen Werkverzeichnis stieß ich schließlich auf diese Kirche und war beim ersten Besuch von den Chorfenstern sogleich begeistert. Leider befinden sie sich nicht in Augenhöhe. So stand ich erst einmal nur sehnsüchtig davor. Dann aber geschah das Wunder. Auf meine zaghafte Anfrage, ob es in nächster Zeit Renovierungsarbeiten gäbe, die ein Gerüst erforderlich machen würden, kam sehr rasch eine Antwort. Renovierungsarbeiten nein, Gerüst unter Umständen schon.
Herrn Pfarrer Haberl und den Vertretern der Stiftung Christuskirche danke ich von ganzem Herzen für den hohen Vertrauensbeweis, mir ein Baugerüst zum Fotografieren zu finanzieren. Somit konnte ich mich Ende Mai, Anfang Juni eine Woche lang den Details dieses großartigen Kunstwerkes auf Augenhöhe widmen.
Bestärkt hat mich bei dieser Unternehmung besonders Frau Dr. Ingrid Strauß. Als langjährige Weggefährtin von Helmut Ammann erschloss sie mir die Zusammenhänge dieses vielschichtigen Kunstwerkes. Drohte ich mich in Details zu verlieren, behielt sie das große Ganze im Auge. Auch Herr Eberhard Pabst öffnete mir die Augen für diese Glasfenster, da er sich seit vielen Jahren mit deren Inhalten befasst und auch Vorträge dazu hält.
Man betritt nicht einfach eine Kirche und fängt wie besessen zu fotografieren an. Zumindest ich nicht. Mich interessiert das Umfeld genauso wie der Entstehungsprozess des Kunstwerkes, das Wesen des Künstlers und seine Befindlichkeit. Zitate aus seinen Tagebucheinträgen halfen mir dabei. Diese im Volk-Verlag erschienenen Bände sind eine Quelle der Inspiration.
Ich stellte mir also vor, wie Helmut Ammann sich dieses Neuhausen näher ansah und zunehmend erschloss. Ein stilles Unterfangen, das nur zu Fuß funktioniert. Mich haben dabei viele Dinge erstaunt und beglückt, über die Sie vielleicht lächeln werden, aber die Poesie gehört zu meinem Leben.
In der Architektur und Bildsprache der Herz-Jesu Kirche in der Lachnerstraße fand ich einen spannenden Gegensatz zu dieser Kirche, der mich noch lange beschäftigen wird. Und im Winthir-Friedhof entdeckte ich das Grabmal Oskar von Millers, dem zusammen mit Marcel Deprez 1882 die weltweit erste Stromübertragung aus meiner Heimat Miesbach nach München gelang. Viele dieser Eindrücke und Begegnungen sind in die Wahrnehmung dieser Kirche, die ich als sehr lebendige Gemeinde kennengelernt habe, eingeflossen.
Hier in der Apsis stand ich dann etwas mulmig auf dem hohen Baugerüst, sortierte die Gedanken, Gefühle, die religiösen Aussagen und versuchte alle diese Intentionen in meine Fotografien von den Fenstern zu legen. Viele dieser biblischen Szenen verbanden sich dabei unweigerlich mit aktuellen Erlebnissen.
Und Helmut Ammann schien mir aus seinem Essay „Vom Spiel zum Ernst“ zuzuflüstern:
Alle Märchen sind voll davon, dass es nur dem Absichtslosen gelingt, den Schatz zu finden, die blaue Blume, den Sinn, um den alles Leben kreist.
Es war in dieser Ferienzeit sehr still in der Kirche. Lange habe ich mich nicht mehr so konzentriert und von der Außenwelt unbehelligt stundenlang einem Motiv widmen können. Ohne besondere Absicht, allein den Farben und Formen hingegeben. Und die Lust Helmut Ammanns, mit den Möglichkeiten zu spielen, übertrug sich auf mich. Er drückte es so aus:
Und der eigentümliche Magnetismus zwischen dem geheimnisvollen Gefüge des gefundenen Stückes und der träumenden Seele, die nach Gestalt dürstet, setzt dann ein.
Ob sich in den ausgestellten Details und in den Abbildungen in der Broschüre etwas von diesem Zauber ausdrückt, den ich erfahren durfte, entscheiden nun Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Isabella Krobisch